Jeder fühlt sich bedroht – Making Of Sternenstürmer #3

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Als am Donnerstag russische Truppen in der Ukraine einmarschierten und der Krieg gegen einen souveränen Staat begann, fiel es mir schwer, mich zu konzentrieren. Mir kamen die Tränen, als ich an meine Freunde dachte, die in Riga und Vilnius leben, und ich mich fragte, werden wir uns wiedersehen?

Zudem fühlte es sich seltsam an, dass „Cold War Fiction“ plötzlich realer wird – ungewollt. Doch ein Autorenkollege ermunterte mich, dranzubleiben und weiterzumachen. Denn gerade jetzt sei es umso wichtiger, den Menschen die Zeit des Kalten Kriegs und die damit verbundenen Schicksale der Nationen jenseits des Eisernen Vorhangs näherzubringen. Stimmt, eigentlich ist das mein Anliegen, und auch darauf hinzuweisen, dass die Mechanismen stets die gleichen sind. Imperien fühlen sich durch irgendjemanden oder irgendetwas bedroht, rüsten auf und dadurch entstehen Kriege. Wann, wenn nicht jetzt, soll ich das Thema aufgreifen?

Schicksal im „Sternenstürmer“ ist der Afghanistankrieg. Bei meinen Recherchen stieß ich auf den Zusammenhang zwischen NATO-Doppelbeschluss und der sowjetischen Invasion in Afghanistan im Dezember 1979. Interessant dabei ist, dass die sozialistische afghanische Regierung, die im April 1978 an die Macht kam, in Moskau um militärischen Beistand bat. Nach dem Putsch entbrannte in Afghanistan ein Bürgerkrieg. Doch der damalige Generalsekretär Leonid Breschnew hatte kein Interesse, Truppen zu entsenden und war verstimmt, weil die afghanische Regierung dennoch Nähe zum Westen suchte. Erst als im Dezember 1979 mit dem NATO-Doppelbeschluss Pershing II-Raketen in der BRD stationiert werden sollten, entschloss sich Breschnew, in Afghanistan einzugreifen. Am 25. Dezember 1979 landeten sowjetische Speznas-Truppen und Einheiten in Kabul – um zu verhindern, dass der Islamismus nach iranischem Vorbild auch auf die angrenzenden muslimischen Sowjetrepubliken übergreift. So die offizielle Begründung.

Ähnlich der Mechanismus, der entstand, als der ehemalige US-Präsident Trump einseitig aus den 1987 geschlossenen INF-Abrüstungsverträgen auszusteigen. Damit sah sich Putin wohl darin bestätigt, sich an keinerlei Vereinbarungen und ans Völkerrecht zu halten und schlicht und ergreifend zu handeln, wie er meint.

Jeder fühlt sich bedroht.

Die Amerikaner von den Russen.

Die Russen von den Afghanen.

Die Russen von den Ukrainern.

Die Russen von der NATO.

Jedes Imperium, während kleine Völker, die null Interesse an Expansion oder Machterhalt haben, sich erst recht in ihrer Existenz bedroht fühlen müssen.

Nun bin ich beim „Sternenstürmer“ im Dezember 1979 beim NATO-Doppelbeschluss angelangt und die Rhetorik des Kommandeurs klingt erschreckend aktuell. Aber ich habe mir dabei etwas gedacht.

Leseprobe „Sternenstürmer“

Dumpf krachend schlägt eine Kugel nach der anderen auf der Zielscheibe ein, als ich den Abzug meiner Makarow durchdrücke. In meinen Fingern spüre ich die Kälte, einzelne Schneeflocken rieseln herab. Präzise ziele ich noch einmal auf die Mitte der Scheibe und treffe. Ich lasse den Arm mit der Waffe langsam sinken, wende mich an Wlad: »Jetzt bist du an der Reihe. Mal sehen, ob du besser triffst.«

          »Angeber.« Flapsig stößt seine Faust gegen meinen Oberarm, entsichert seine Pistole und tritt vor die Zielscheibe.

          Der schneidende Wind verfängt sich im Saum meines Mantels, schlägt ihm um, während ich in einer Liste meine Treffer eintrage. Abwartend trete ich beiseite. Auf den Gläsern meiner Brille schmelzen ein paar Flöckchen zu Wassertropfen. Ich wische sie am Ärmel ab, höre die Einschüsse und sehe wieder klar, welche Ringe Wlad getroffen hat. Wer von uns beiden kurzsichtig ist.

          Bevor ich etwas sagen kann, dreht er sich um, hebt die Hände. »Gib zu, dass du heimlich meine Knarre manipuliert hast«, scherzt er.

          »Dir ist nur kalt in den Fingern wie einem Mädchen, und willst es nicht zugeben«, entgegne ich mit den Fingerspitzen meines rechten Handschuhs zwischen den Lippen, lade nach und lasse klickend das Magazin wieder einrasten. »Noch eine Runde gefällig?«

          »Ich nenne es Revanche«, sagt Wlad.

          In dem Moment, als ich meinen Arm ausstrecke und das Schwarze anpeile, sehe ich, wie der Adjutant auf den Schießstand zueilt. Seine Fußspitzen wirbeln den lockeren Schnee auf, und er wirkt ziemlich gehetzt. Ich stecke die Makarow in das Holster, als der Adjutant vor Wlad und mir strammsteht.

          »Der Genosse Kommandeur hat eine Stabsbesprechung einberufen«, meldet er, sieht uns drängend an.

          Wortlos tauschen Wlad und ich einen Blick aus. Wenn Rodjonnow plötzlich eine Besprechung mit allen Offizieren ansetzt, muss etwas Wichtiges vorgefallen sein. Oder etwas Ernstes. Ist Leonid Iljitsch zurückgetreten? Droht uns ein Krieg? Haben die Amerikaner versehentlich eine Atomrakete gezündet, brennen sich meine Fragen siedend heiß in meine Gedanken. Das Papier, auf dem Wlad und ich unsere Treffer notiert haben, bekommt dort nasse Flecken, wo sich Schneeflocken niedergelassen haben. Ich rolle es zusammen, schiebe es ein. Schnurstracks folgen wir dem Adjutanten zum Verwaltungsgebäude. Inzwischen fällt der Schnee dichter. Unsere Schießübung hätten wir ohnehin abbrechen müssen. Obwohl, für den Ernstfall, bei Schneetreiben kämpfen zu müssen, hätten wir uns erprobt.

          In der Halle streife ich die Handschuhe ab, lege sie in meine Uschanka und laufe an der Leninbüste vorbei die Stufen hinauf. Die Tür zu Rodjonnows Vorzimmer steht weit offen. Ich bemerke, dass die Garderobe vollgehangen ist mit einigen anderen Mänteln und Pelzkappen. Die Sekretärin nimmt meinen Mantel und die Uschanka entgegen. »Treten Sie ein, Genossen.«

          Der Raum ist der gleiche, in dem mich Rodjonnow drei Jahre zuvor abkanzelte. Er sitzt am Tischende, diesmal schwelt kein Zigarillo im Kristallaschenbecher. Doch sein Gesicht, auf dem ansonsten ein gleichgültig-überheblicher Zug liegt, ist mürrisch und verkniffen. Diesmal hängt über ihm eine Landkarte Mitteleuropas, die Grenze zwischen dem Kommunistischen Block und dem Nordatlantischen Bündnis ist schreiend rot und dick markiert.

         Ich deute den anderen Offizieren und dem Kommandeur einen Salut an, nehme Platz. Neben mir gluckert Mineralwasser in ein Glas, ich kann das leise Knistern der Kohlesäurebläschen deutlich hören.

          »Willst du auch?«, bietet mir Wlad an, schenkt mir Wasser ein.

Bei der Kälte, die durch die zugigen Fensterrahmen dringt und der lauen Heizung, die mich nicht aufwärmen vermag, ist mir der Tee lieber, den die Sekretärin auf einem Tablett serviert. Auf das Zeichen, das Rodjonnow ihr gibt, gleitet sie lautlos aus der Tür.

In engen Kreisen rühre ich den Zucker in die Mitte des Tees ein, damit der Löffel nicht gegen das Glas schlägt. Ich will mir nicht Rodjonnows böse Blicke einhandeln. Fast schon gespenstisch und unheilverkündend lastet das Schweigen über der Runde. Nur die angespannten Atemzüge der anderen sind zu vernehmen. Vorsichtig nippe ich am Glas, spüre, wie der heiße Tee wohltuend meine Kehle herabrinnt.

»Genossen!« Rodjonnow erhebt sich, dabei schrappen die Stuhlbeine über den Parkettboden. »Vorhin hat mich die Nachricht aus Moskau erreicht, dass das Nordatlantische Bündnis in Westdeutschland nukleare Boden-Boden-Raketen vom Typ Pershing II stationieren wird. Aus diesem Grund berufe ich kurzfristig die Stabsbesprechung ein.«

Mein Verstand sträubt sich gegen die leichte Beklemmung, die in mir aufwallt. Sind die Zeiten der Entspannung vorbei? Beide Lager standen sich, aufgerüstet mit abschreckenden Atomarsenalen gegenüber, doch durch die Abrüstungsverträge zwischen Breschnew und Carter entstand ein Gleichgewicht – du tust mir nichts, ich tu dir nichts. Anscheinend vertritt Präsident Carter plötzlich die Ansicht, sich an keine Vereinbarungen halten zu müssen.

Rodjonnows Hand spannt auf der Karte den Bogen vom Gebiet der BRD über Polen hinweg in den Westen der Union. Dorthin, wo die Pershings einschlagen könnten. »Damit, Genossen, ist der Gipfel einer erneuten Provokation seitens des Westens erreicht«, fährt er fort, lässt die Silben dabei knallen. »Von deutschem Boden aus können die Raketen Städte wie Kiew, Minsk und Vilnius schnell erreichen und vernichten. Mit hoher Wahrscheinlichkeit können sie auch Moskau treffen. Die Gefahr eines Präventivschlags gegen unser Land ist größer denn je. Darum wurde die Gefechtsbereitschaft erhöht.«

Ein eiskalter Schauer prasselt mir die Wirbelsäule herab. Doch es ist nicht wegen der Kälte draußen. Ich mag mir nicht ausmalen, dass mit einem Schlag alles hier ausgelöscht und ein nukleares Trümmerfeld ist – der Stützpunkt, mein Haus, die Stadt. Dass Lucija und Jūratė im atomaren Feuer sterben, genauso wie Wlad und die Männer neben mir. Ein namenloser, ohnmächtiger Hass auf diesen Carter peitscht mein Inneres durch. Was können wir noch ausrichten, wenn unsere Radarschirme eine Rakete im Anflug erfassen? Alarm auslösen und den Gegenschlag zünden? Bringt er uns etwas, wenn wir längst tot sind? Verstohlen nippe ich erneut am Teeglas. Die Zeiten, in denen sich Armeen auf Schlachtfeldern gegenüberstanden und einander massakriert haben, sind vorbei. Wir werden uns gegenseitig auf eine andere, perfidere Weise massakrieren.

Vorne wendet sich Rodjonnow um, schlägt seine Finger wie Klauen in die Rückenlehne des Stuhls. »Von nun an gelten höchste Wachsamkeit und höchste Bereitschaft.« Grimmig und auffordernd sieht er mich an, als hätte er gerade mich auserkoren. Was mich zwar nicht überrascht, aber unbewusst meine Schultern so gespannt wie Stahlstreben macht. »Dovidas Marijonowitsch, als diensthabender Offizier in der Luftraumüberwachung werden Sie außerhalb Ihrer Schicht jederzeit auf Abruf bereitstehen. Verstanden?«

Und wie ich das verstanden habe. Leicht krümmt sich mein Magen zusammen, als ich an meinen freien Tag am 24. denke und an die Vorbereitungen, die Lucija und Vilma bereits jetzt geschäftig treffen. Aber habe ich eine andere Wahl? »Jawohl, Towarischtsch Kommandjer«, antworte ich.

»Das gilt selbstverständlich auch für die anderen Genossen«, sagt Rodjonnow nachdrücklich, setzt sich, leise die Luft durch die Schneidezähne zischend, nieder. Er wirkt, als will er noch etwas sagen, nestelt aber einen Zigarillo aus der Packung. Genau den scharfen Tabakgeruch habe ich vermisst. Da war doch etwas … »Genossen«, hebt er nachdenklich an, »nun beginnt ein neues, anderes Kapitel in diesem Kalten Krieg. Fortan wird sich die Sowjetunion auch nichts mehr bieten lassen.« Mit dieser düsteren Ankündigung beendet er die Stabsbesprechung.

© Ira Habermeyer 2022

Veröffentlicht von autorinirahabermeyer

Autorin Cold War Fiction-Romane

Ein Kommentar zu “Jeder fühlt sich bedroht – Making Of Sternenstürmer #3

  1. Der Feldherren
    die Hybris der Männer
    ihre Macht

    sind Schutzbedürftige
    Frauen und Kinder
    ausgeliefert

    der Krieg
    beginnt
    mit dem
    Hass in uns

    mit dem Fingerzeig
    auf die Bösen anderen
    wird es noch schlimmer

    darüber
    die bewusste Arbeit
    tagtäglich
    an mir selber

    was ich nicht ändern kann
    das muss ich ertragen

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