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Heute ist es soweit, der offizielle Bookrelease Day ist gekommen und unsere „Winterschwalben“ sind nun als Ebook und als Print erhältlich. Gleichzeitig läuft die Bewerbungsfrist für die Leserunde auf Lovelybooks.de.

Natürlich sind Silvia und ich gespannt, wie unser Cold War Fiction-Weihnachtsroman ankommt. Vorbestellt und angefragt wurde bisher schon ganz fleißig. Arvos und Nelus Begegnung an der Eisernen Grenze zwischen Rumänien und der UdSSR dürfte für einige Überraschungen sorgen, nicht zuletzt bei Arvos harter Begrüßung. Überrascht waren wir aber auch beim Schreiben, da der Plot und die Protagonisten sehr bald ihr Eigenleben entwickelten.
Da ist die Figur des Locotenent Eugeniu Iacuşi, der Arvo am Militärflughafen von Chisinau abholt und ihn durch steile Weinberge hinab nach Calarasi an der Grenze chauffiert. Während der Fahrt prallen die Mentalitäten des kommunikativen Südländers Iacusi und des zurückhaltenden, etwas wortkargen Nordlichts Arvo aufeinander. Wie mag die erste Begegnung mit Nelu erst werden? Und welche Rolle spielt die KGB-Majorin Georgeta, die sich ihrer Macht sehr bewusst ist?
Heute sind wir in die späten 1960er Jahre eingetaucht, um euch „Winterschwalben“ zu präsentieren. Für dieses Wochenende war eine „Schneebombe“ vorhergesagt, aber nicht überall fallen weiße Flocken zur Erde und zaubern eine winterliche Kulisse. Doch Schnee dürfte es in „Winterschwalben“ genügend geben.

Die Leseprobe wirft Arvo zurück in ein Ereignis seiner Jugend und verlangt ihm einiges an Stärke ab:
Eis, Schnee, Kurven. In halsbrecherischem Tempo jagte Iacuşi die Serpentinen hinab in ein von zartem Nebel eingehülltes Tal. Arvo liebte zwar die Geschwindigkeit, doch die hiesigen Gegebenheiten verlangten großes Geschick. Immerhin hatte ihn der Leutnant heil über die glatten Straßen, vielmehr gefrorene, steinige Pisten mit vereisten Schlaglöchern gebracht.
Durch den Dunst, der über dem schneebedeckten Boden zu schweben schien, brach fahles, diffuses Sonnenlicht. Ein Fluss atmete in die Kälte aus, auf seinem Wasser trieben Eisschollen. Hätte nicht der Winter dieses Tal mit filigranen, bizarren Formen geschmückt, die Bäume, Rebstöcke, Hecken und längst verblühte Disteln darstellten, könnte es sich genauso auf Kuba befinden. Dort hatte Arvo eine ähnliche, aber sattere Landschaft gesehen.
»Da vorne ist Călăraşi«, sagte Iacuşi, zeigte durch die Windschutzscheibe auf die Umrisse einer Stadt. Zwischen sich auflösenden Nebelschwaden tauchten im gleichen schmutzigen Gelb jeder sowjetischen Stadt die ersten Häuserreihen auf. Aus den Schornsteinen stieg der kokslastige Atem der Fabriken, Schulen und privaten Behausungen dem aufklarenden Himmel entgegen. »Unser Ziel.«
»Das wir noch vor Ankunft des Zugs erreichen«, entgegnete Arvo, spähte auf seine Uhr.
Noch einmal bewies Iacuşi seine Fahrkünste, schnitt einen Richtung Bahnhof eintrudelnden Überlandbus und hielt den Jeep vor dem Gebäude an. Soldaten mit Gewehren im Anschlag riegelten es ab, verscheuchten mit finsteren Gesichtern schon von vornherein jeden Passanten, der nur flüchtig herüberspähte. Arvo stieg aus, bedachte die schlaff herabhängenden roten Flaggen vor dem Bahnhof mit einem gleichgültigen Seitenblick und schirmte seine Augen mit der Sonnenbrille ab. Wie ein Trommelschlag erscholl das dumpfe Zusammenschlagen von Stiefelhacken, als er an den Soldaten vorbeiging. Knapp erwiderte er ihren Salut, durchquerte die menschenleere Halle. Iacuşi folgte ihm treu. Auch den Zugang zu den Gleisen versperrten die Milchgesichter in Uniform mit ihren anerzogenen, einschüchternd wirkenden Mienen, und am Bahnsteig erwarteten ihn zwei Unteroffiziere. An deren Koppeln baumelten Handschellen.
Die sind für dich gedacht, Nicolescu, frohlockte Arvo, bringen wir’s hinter uns. Ich bestehe darauf, dass du pünktlich bist. Noch fünf Minuten. Er nestelte eine Leek aus der zusammengeknautschten Packung, die vorletzte, zündete die Zigarette an und sog den Rauch zusammen mit der frostigen Kälte tief in seine Lungen.
In der Ferne hallte das Heulen der Lokomotive über das Tal. Bevor er zusammenzucken konnte, warf die Erinnerung ihren klebrigen Faden nach Arvo aus. Er verfing sich wie der erste Strang eines Spinnennetzes an einem Grashalm. Zischend und schnaubend rollte die Lok auf den Bahnhof zu. Arvo lief ein kalter Schauer den Rücken hinab.
Wieder spürte er die grobe Hand des Soldaten, der ihn über den Bahnsteig schubste. Er taumelte. Sein Vater, Ülo Kortelainen, streckte den Arm nach Arvo aus, um ihn aufzufangen. Während Miina, seine Mutter stumme, verzweifelte Tränen weinte, trug Ülo würdevoll den Koffer. Die Russen hatten ihn angewiesen, was er mitnehmen durfte. Es stand in ihrem Befehl, dass der Parlamentsabgeordnete Kortelainen sich am Baltischen Bahnhof einzufinden hatte.
Juni 1940. Kein Personenzug, nicht einmal einer, der aus Waggons der zweiten oder gar dritten Klasse zusammengestellt worden wäre, wartete am Bahnsteig. Dort wimmelte es vor Menschen. Stimmen schlugen auf, wohin, wohin? Soldaten stießen Frauen rabiat mit Gewehrkolben in Güterwaggons, brüllten russische Kommandos. CCCP und der Sowjetstern prangten weiß aufgepinselt auf den abstoßend braunen Waggons. Männer, Greise, Kinder. Esten, Russen. Sie gingen auf die große Reise. Nicht jeder trat sie so würdevoll in seinem Dreiteiler, Hut und einem sanften Lächeln an wie Ülo Kortelainen.
Die verfickte große Reise! Wie ein Irrer presste Arvo die Handfläche auf die Stirn.
»Genosse Oberst, Ihre Kappe.« Sollte er Iacuşi dankbar sein, dass er den eng um Arvo gewobenen Kokon auseinanderriss? Mit diesem belanglosen Satz?
»Danke, Iacuşi«, erwiderte er. Peinlich berührt staubte er den Pelz ab, setzte die Uschanka wieder auf, als sei nichts geschehen.