Der Spion im Kanzleramt – die wahre Geschichte hinter „Bruderküsse“

Themen: Schreibtagebuch, Roman, Historischer Roman, Zeitgeschichte, Politik, Fakten zum Buch, 1970er Jahre, Deutschland, Willy Brandt

Früh morgens am 24. April 1974 wurde das wohl bekannteste Agentenpaar der Nachkriegszeit aus seinem Haus in Bad Godesberg verhaftet: Günter Guillaume und seine Frau Christel. Bereits Monate zuvor verhärtete sich der Verdacht, dass die beiden Stasi-Agenten seien und wurden von Verfassungsschutz und Geheimdiensten observiert.

Was sich wie das Finale eines Spionageromans liest, hat sich vor 50 Jahren tatsächlich so ereignet und löste eine der größten Politaffären der Bundesrepublik aus. Jahrelang war Günter Guillaume enger Vertrauter von Willy Brandt, dem damaligen Kanzler, sein Referent und Beauftragter für Parteifragen der SPD. Guillaume begleitete Brandt in den Urlaub nach Norwegen und hatte Zugang zu geheimen Dokumenten. Vom Verdacht gegen seinen engen Mitarbeiter wusste Brandt, aber er nahm die Hinweise, dass der für die Stasi spionierte, nicht weiter ernst. Im Bonn des Kalten Krieges stand praktisch jede*r unter Verdacht, für einen Geheimdienst zu arbeiten, von der Sekretärin bis hin zum Bundestagsabgeordneten. Manchmal bewahrheitete er sich, manchmal auch nicht.

Die Umstände, wie jemand bis in die engsten Regierungskreise aufsteigen konnte und Informationen an einen Geheimdienst des damaligen Ostblocks lieferte, inspirierte mich zur Hintergrund-Handlung in Bruderküsse. Im Roman ist Guillaume nur Statist. Wer aber war der Mann, dessen Name in gleichen Atemzug von Geheimnisverrat und dem Rücktritt Willy Brandts fällt?

Willy Brandt und Günter Guillaume (links); das Bild stammt von meiner Pinterest-Pinnwand „Bruderküsse“

Wer war Günter Guillaume?

Eine schillernde Persönlichkeit. Günter Karl Heinz Guillaume wurde 1927 in Berlin geboren, sein Vater war Musiker. 1944 war er Flak-Helfer und trat in die NSDAP ein. Bei Kriegsende geriet er in britische Kriegsgefangenschaft, aus der er floh. 1946 arbeitete Guillaume als Werbefotograf in Ost-Berlin, 1950 wurde er Redakteur im Verlag „Volk und Wissen“ und trat zwei Jahre später in die SED ein. Den Akten der HVA nach erhielt er ab 1954 eine nachrichtendienstliche Ausbildung und gemeinsam mit Frau und Sohn wurde er 1956 als Flüchtling in die Bundesrepublik eingeschleust.

In Frankfurt arbeitete Guillaume als Fotograf und betrieb einen Kiosk. Er trat 1957 in die SPD ein und hatte im links ausgerichteten Landesverband Hessen-Süd mehrere Funktionen inne. Nachdem Guillaume erfolgreich 1969 den Wahlkampf des damaligen Verkehrsministers und späteren Verteidigungsministers Georg Leber leitete, vermittelte der ihn ins Bundeskanzleramt. Dort gewann Guillaume als Referent für Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik das Vertrauen seiner Vorgesetzten und stieg 1972 zu Willy Brandts persönlichen Referenten auf. Innerhalb des Kanzleramts bildete Guillaume einen vertraulichen Zirkel aus sozialdemokratischen Mitarbeiter*innen.

Verdacht, Verhaftung und Brandts Rücktritt

Mitte 1973 lagen den bundesdeutschen Sicherheitsdiensten erste Verdachtsmonente gegen Guillaume vor, dass er als Agent der Stasi tätig war. Die Hinweise lieferte „ein befreundeter Geheimdienst“, der nicht genau benannt wird. Indizien lieferten verschlüsselte Geburtstagstelegramme, die die Stasi ihren Agenten im Westen schickte.

Guillaume und seine Frau müssen jahrelang unauffällig und bürgerlich in Frankfurt, beziehungsweise Bad Godesberg gelebt haben. Eine Fassade, die bis zu jenem 24. April 1974 gehalten hatte – und sie waren sicherlich nicht die Einzigen im Bonn dieser Zeiten. Die Beweislast gegen Guillaume war zwar dünn, aber bei seiner Verhaftung verriet er sich mit dem Satz: „Ich bin Offizier der Nationalen Volksarmee der DDR und Mitarbeiter im Ministerium für Staatssicherheit. Ich bitte, meine Offizierswürde zu respektieren.“

Der Skandal um einen Stasi-Agenten im Palais Schaumburg löste Verunsicherung und eine Vertrauenskrise in der Bevölkerung aus. Hatten die bundesdeutschen Sicherheitsdienste versagt und zu wenig überwacht, wer im Kanzleramt arbeitete? Welche Informationen waren nach Ost-Berlin gelangt?

Am 07. Mai 1974 trat Willy Brandt auf Anraten Egon Bahrs als Bundeskanzler zurück. Es heißt, die Guillaume-Affäre hätte den Auslöser geboten, wäre aber nicht der Anlass gewesen.

Günter und Christel Guillaume wurden 1975 wegen Landesverrats zu 13 Jahren Haft verurteilt, allerdings wurden sie 1981 entlassen und im Rahmen eines Agentenaustausches in die DDR zurückgeschickt. Dort wurden sie befördert und mit verschiedenen Titeln ausgezeichnet.

1995 starb Günter Guillaume in Berlin.

Welche Informationen gelangten an die Stasi?

Die Stasi-Akten Guillaumes stehen noch heute zur Verfügung. Allerdings war seine Tätigkeit weniger bedeutend als vermutet. Die Hälfte der Informationen, die er nach Ost-Berlin geliefert hatte, betrafen SPD-Interna, ein Viertel befasste sich mit Gewerkschaftsfragen und ein Viertel mit Brandts Regierungspolitik.

Spionage auch im Jahr 2024?

Dass mit Ende des Kalten Krieges und dem Zerfall der UdSSR Agenten, Maulwürfe und sonstige Spitzel arbeitslos geworden wären, ist eine sehr naive Annahme – siehe den NSA-Abhörskandal 2013 und unlängst die Taurus-Affäre. Das weltpolitische Gefüge hat sich mit der Verlagerung auf die USA und China – und auch durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine verändert. Auch die Methoden der Geheimdienste haben sich weiterentwickelt hin zur hybriden Kriegsführung, Desinformationen über soziale Netzwerke und Bot-Angriffe.

Gerade unter den heutigen Bedingungen lohnt es sich, die Geschichte zu bemühen und sich bewusst zu werden, dass man sich nicht in Frieden und Sicherheit wiegen kann.

Für diesen Post habe ich u.a. auf Wikipedia recherchiert.

Veröffentlicht von autorinirahabermeyer

Autorin Cold War Fiction-Romane

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