Lucy in the Sky – und ein Perspektivwechsel

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Oh wow, seit Mitte Dezember umfasst der „Sternenstürmer“ 45.000 Wörter und mit der Überschallgeschwindigkeit einer MiG23, wie sie Dovidas geflogen hat, rausche ich durch 120 Seiten. Der erste Teil des Romans mit dem Titel „Lucy in the Sky“ ist fertig.

Liegt es an der Perspektive, aus der ich meine Protagonisten Lucija und Dovidas erzählen lasse? Zum ersten Mal wage ich mich an 1. Person Präsens heran, aber die beiden sind dafür einfach geschaffen. Bei einem anderen Roman würde mir diese Erzählperspektive weniger liegen, oder sie wäre bei „Eis und Bernstein“ mit seinen fünf Hauptakteur*innen nicht geeignet. Aber Lucija und Dovidas sind noch jung (das ist Rasa mit ihren 21 Jahren zu Beginn auch) und können ungefiltert aus ihrem Leben an der Universität, beziehungsweise der Luftwaffenbasis erzählen. Sei es, über die linientreue Dozentin zu lästern oder sich über den boshaften Kommandeur auszulassen. Beide sind auf ihre Weise rebellisch. So nutzt Lucija ihre Beziehungen auf dem Schwarzmarkt, um an eine Platte von Queen oder an Badfliesen heranzukommen. Und Dovidas besteht darauf, richtig zu handeln, wenn Flugzeuge des Nordatlantischen Bundes (NATO – auch hier gilt eine andere Perspektive) auf seinem Radarschirm erscheinen. Anders als „Eis und Bernstein“ beschreibt der „Sternenstürmer“ ein subversives Litauen während der Sowjetzeit – und wie sich meine Protas trotz ihrer Aufsässigkeit doch dem System fügen müssen.

Mir bereitet es eine wahnsinnige Freude, diesen Roman zu schreiben und ich bin froh, dass ich ihn wiederentdeckt habe und mit der anderen Erzählperspektive ein neues Leben einhauche. In der Leseprobe stelle ich Dovidas vor, der auf der Basis die Musikkapelle dirigiert. Die Neujahrsfeier steht bevor und dafür muss geprobt werden.

Aus einer anderen Perspektive

Leseprobe:

Inzwischen sind wir bei den Proben von Katjuscha* angelangt. Dabei bekommen wir Unterstützung. Larissa, eine blonde junge Frau mit Stupsnase und vollen, rot geschminkten Lippen, durchquert das Kasino. Für einen zerstreuten Moment sind meine Jungs abgelenkt, als sie sich einen Hocker schnappt und ihn auf die Bühne trägt. Stolz wie ein Schwan lässt sich Lara, wie sie genannt werden möchte, vor mir auf dem Hocker nieder und wartet, bis ich den Takt vorgebe. Sie ist Rodjonnows Tochter, erkennbar an dem runden Gesichtchen. Bekanntlich liebt er dieses Lied, und niemand geringeres als Lara soll es singen.

          Bevor sie eine Note von sich gibt, befürchte ich Schlimmstes. Katjuscha ist das Kriegslied der Russen und erinnert jedes Volk, das sie bezwungen haben, dass ihre Stiefel auf litauischem, lettischem oder armenischem Boden stehen. Ich bin kein Nationalist. Ich bin Offizier ihrer Luftwaffe. Ich habe einen Eid darauf geleistet, die Völker der Sowjetunion zu schützen. Aber ich weiß auch, was nach dem Großen Krieg geschah, und dass die Schüsse in den Hinterhöfen und die Verhaftungen meinen Leuten galten. Als Kind mitansehen zu müssen, wie russische Soldaten eine Familie mit vorgehaltenen Gewehren aus einem Haus trieben, brennt sich ins Gedächtnis ein. Genauso wie die geheimen, verächtlichen Gesten meines Vaters, wenn im Radio Katjuscha erklang und er ausschaltete.

          Ich lasse der Kapelle den ersten Ton angeben, damit Lara ihn aufnehmen kann. Dann legen wir los. Sie hat durchaus Talent, und meine Befürchtung, sie würde keine Note treffen, löst sich auf wie der Dunst über dem Fluss, von dem sie singt. Wo das Mädchen Katjuscha unter Apfel- und Birnbäumen sitzt und den Brief ihres Liebsten, einem Soldaten, liest.

          Apfelbaum? Plötzlich ergibt diese grauenhafte Schmonzette einen anderen Sinn. Meine Gedanken begeben sich auf Abwege. Ich sehe den Moment vor mir, als ich für Lucija den Apfel pflücke und ihn ihr reiche. Etwas Warmes, wie ein Sonnenstrahl, durchströmt mich, als ich den Blick aus ihren Mandelaugen heraufbeschwöre. Wie er mich durchdringt und mir einen leichten Stich durch die Magengrube jagt. So fühlt es sich an, wenn man mit der MiG über die Startbahn brettert und dann den Hebel hochzieht, die Reifen sich vom Boden lösen und man abhebt.

          Ich fahre aus meinem Tagtraum, als Lara abrupt verstummt. Durchdringend sieht sie mich an, als mahnt sie mich, gefälligst aufzupassen. Hoffentlich bemerkt niemand, dass mir die Peinlichkeit in die Wangen schießt und ich rot werde wie die Sowjetflagge über der Bühne. »Im Takt bleiben«, wende ich mich streng die Kapelle, um ihnen zu vermitteln, ich hätte alles im Griff. »Nochmal von vorne. Ihr Einsatz, Genossin Rodjonnowa. Stehen Sie ruhig auf, wenn Sie singen.«

          Mit aller Macht unterdrücke ich jeden weiteren ablenkenden Gedanken. Locker, aber fokussiert dirigiere ich, hier der Einsatz der Bläser, dort mehr Rhythmus. Allmählich spielt sich meine Gruppe ein, sie werden besser. Dann stimme auch ich mit der Klarinette ein. Lara singt voller Inbrunst, schließt die Augen und kennt den Text auswendig. Wahrscheinlich hat sie das Lied auch oft genug gehört. Als ich die Probe für heute beende und meine Klarinette einpacke, kommt Lara zu mir.

          »Kann ich etwas zu meinem Auftritt vorschlagen?«, fragt sie.

          »Sicher. Ich höre«, entgegne ich.

          »Katjuscha ist ein sehr ausdrucksstarkes, sehnsuchtsvolles Lied«, schwadroniert sie, dabei passt sie ihre Mimik an, kneift die Augen zusammen, reißt sie wieder auf und ballt die Faust vor der Brust. »Ich würde dieses russische Mädchen noch überzeugender interpretieren, wenn ich wie in unseren Tänzen mit einem Tuch dazu winke.«

          Die Auftritte russischer Folkloregruppen schweben in mein Gedächtnis. Frauen mit prächtigen, Kronen gleichenden Kokoschkas** auf den geflochtenen Haaren und in langen, üppig bestickten Gewändern singen aus voller Seele. Dazu wedeln sie dramatisch mit Tüchern. Ein wenig übertrieben halte ich Laras Idee durchaus, aber ich möchte sie nicht ablehnen. Letztendlich würde sie sich bei ihrem Vater beschweren, und nachdem mich Rodjonnow offensichtlich nicht besonders gut leiden kann, würde er mir die Leitung der Kapelle entziehen.

          »Probieren Sie es das nächste Mal aus«, sage ich, passe. Katjuscha ist das Lied der Russen.

          Trotzdem bleibt mir die Melodie den ganzen Tag im Kopf. Ich stehe an der Fensterfront des Turms, blicke hinab auf das graue Rollfeld. Regennass glänzt der Stahl der MiGs, die einsatzbereit in einer Reihe stehen. Mit einem Lächeln denke ich an Lucija, wende mich um und blicke dem Leutnant, der vor dem Radar sitzt, über die Schulter. Lucy in the Sky, grinse ich in mich hinein, und finde, das passt besser zu ihr. With Diamonds. Nur ein kurzer Augenblick, den ich bei ihr verweile, dann schüttle ich mich innerlich. Nachdem wir in der gleichen Siedlung wohnen und praktisch Nachbarn sind, werden wir uns zwangsläufig wieder begegnen.

*Sowjetisches Lied aus der Zeit des 2. Weltkriegs

** Traditionelle russische Kopfbedeckung für Frauen

Vorläufiger Klappentext „Sternenstürmer“

Fluguntauglich! Damit wird der MiG-Pilot Dovidas Kalvaitis im Sommer 1975 zurück nach Vilnius geschickt. Seine Beförderung zum Major der Luftwaffe, sowie seine Liebe zur Musik trösten ihn darüber hinweg, dass er nicht mehr selbst im Cockpit sitzen kann. Schließlich begegnet er der klugen wie eigensinnigen Lucija, von der er vom ersten Augenblick an fasziniert ist.

Doch als die Sowjets in Afghanistan einmarschieren und Dovidas das Kommando eines Stützpunkts im fernen Faisabad übernehmen soll, enden die glücklichen Jahre jäh und seine Beziehung zu Lucija wird auf eine harte Probe gestellt. Denn sie wartet im Ungewissen auf Nachrichten aus Afghanistan.

Wird Dovidas heil aus dem zermürbenden Krieg am Hindukusch zurückkehren? Und wird er sich in seiner Heimat, der dramatische Veränderungen bevorstehen, zurechtfinden?

Veröffentlicht von autorinirahabermeyer

Autorin Cold War Fiction-Romane

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