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„Interessantes Thema verpackt in eine große Liebesgeschichte“
Lesermeinung zu „Sternenstürmer“

Inzwischen treffen die ersten Leserstimmen zu „Sternenstürmer“ ein und Lucija und Dovidas scheinen ihren Zauber zu übertragen. Mich freut, dass ich den Menschen, die diesen doch umfangreichen Roman meine Begeisterung und meine Hingabe an die Figuren näherbringen kann.
Vor einem Jahr fand ich zurück zu jener Szene im Dezember 1975 an einem Wintertag wie aus dem Bilderbuch. „Sternenstürmer“ ist zwar kein Weihnachtsroman, und doch erzählt er von einer großen Liebe und von Hoffnung. So ist es auch eine große Liebe zwischen mir, meinen Figuren und dem Schauplatz Vilnius. Zum ersten Advent möchte ich diese besondere Leseprobe teilen.
Wir fahren weiter stadtauswärts, wo die Häuser kleiner und älter werden, in ein Waldstück hinein. Vom Pfad ist nicht viel zu erkennen, außer dem spröden Gras an der Böschung, das der Schnee niederdrückt. Langsam schaukelt der Jeep über den Weg. An einer Gabelung, an der zwei gegenüberliegende Kiefern ihre Fächer zueinander ausbreiten, hält Dovidas an. Als ich aussteige, versinken meine Füße im weichen, lockeren Schnee. Vor uns liegt ein zugefrorener See, eingefasst von schlanken Birken. Ihre reifüberzogenen Zweige flirren wie von tausenden kleiner Diamanten besetzt in der Sonne, die tief im Westen steht und den Himmel orangerot färbt.
»Ich war hier im September schwimmen, als es noch warm war«, erzählt Dovidas. »Es ist ein netter Platz.«
»Hast du über die Feiertage frei?«, frage ich.
Er scheint zu verstehen, was ich damit meine. Heiligabend, der im sowjetischen Kalender nicht vorkommt, aber an dem viele versuchen, Urlaub bis Neujahr zu beantragen.
»Ab morgen für fünf Tage. Ich werde nach Klaipėda fahren und meine Eltern besuchen«, antwortet Dovidas. »Was machst du?«
»Bis zum Dreißigsten muss ich in die Uni«, erwidere ich, während wir nebeneinander durch den Schnee stapfen. Das Eis am Ufer des Sees ist dünn, ich kann das Wasser unter der durchscheinenden Schicht erkennen, wie es sachte wogt.
»Das träfe sich gut«, meint Dovidas, als macht er gerade in seinen Gedanken etwas aus. Kurz streift mich sein Blick, dann blinzelt er zum gegenüberliegenden Ufer.
Während der fast volle Tagmond den Himmel hinauf humpelt, flammt der Sonnenuntergang rot und violett auf.
»Darf ich dich fragen, ob du mich zur Neujahrsfeier auf den Stützpunkt begleiten möchtest?« Dovidas sieht mich an, stupst seine Brille zurecht und wendet sich mir zu. In seiner Stimme liegt kein ironischer Ton mehr. Er meint es ernst.
Mein Herz pocht heftiger, gleichzeitig klebt mir die Zunge am Gaumen. Mir entweicht ein freudiges Lachen. Auf der Eisfläche erscheint wie in einem Tagtraum ein Paar. Dovidas in seiner Uniform, und ich trage ein Kleid, das so leicht und bauschig ist wie eine Schneewolke. Gemeinsam tanzen wir, unsere Hände ineinander verhakt und seine Stirn ruht auf meiner. Zu schön, um wahr zu sein. Was empfinde ich für ihn? Liebe? Kann ich es wagen, das Gefühl so zu nennen, oder muss ich befürchten, dass sie wieder nur einseitig bleibt und nichts als schale Tränen übrigbleiben?
»Muss ich mich als Kosmonautin maskieren?«, frage ich, grinse unwillkürlich bei der Vorstellung, dass die ansonsten in ihre schnittigen Uniformen gekleideten Offiziere sich am Neujahrsabend in allerhand Kostüme werfen. Von Robotern bis hin zu Hunden, Mäusen oder gar Väterchen Frost. Silvester ist Karneval.
»Ich hatte nicht gedacht, dass du wirklich lachen kannst«, antwortet er trocken. »Du kommst als hübsche Lucija.«
Ich versuche, mein Lächeln zu halten, doch es erlischt wie die Sonnenstrahlen hinter dem Birkenhain. Das tanzende Paar auf dem Eis verblasst, verschwindet.
»Ich wollte nichts Falsches sagen«, fährt er fort. »Manchmal wirkst du sehr nachdenklich. Ich hoffe, das hat keinen ernsten Hintergrund. Ich vergaß … das mit deinem Vater. Verzeih.«
»Nein, ist gut«, antworte ich. Dass ich mich fürchte, mir würde es wieder wie mit Laurinas ergehen, verrate ich ihm nicht. Doch mein Verflossener war immer mehr in die Ferne gerückt.
»Dann bin ich ja beruhigt. Ansonsten hätte ich dich aufgemuntert«, sagt Dovidas. »Ich dirigiere die Kapelle meiner Einheit und spiele Klarinette. Auch am Silvesterabend werde ich auftreten.«
»Deshalb habe ich dich gehört, als du an einem warmen Tag auf dem Balkon gestanden warst«, erinnere ich mich.
»Für die schrägen Töne und die Ruhestörung entschuldige ich mich.« Leicht verbeugt er sich, presst dabei die Hand auf seine Brust. Sein schwarzer Lederhandschuh vergräbt sich im graugrünen Stoff seines Mantels. In der Dämmerung verschmelzen die Farben, werden schwärzlich wie die anbrechende Nacht.
»Es klang gut und ich habe dir gerne zugehört«, versichere ich ihm. »Und ja, verzeih, wenn ich dich mit meiner Antwort habe warten lassen. Ich begleite dich auf die Feier.«
»Großartig.« Sein Strahlen kann Dovidas nicht mehr verbergen. »Ich hole dich um sieben Uhr ab.«
Allmählich versickert das letzte Tageslicht in einem schmalen, hellblauen Streifen am Horizont. Ein angenehmes Zittern durchläuft meine Nervenbahnen, erfasst mich bis in die Haarspitzen, als ich Dovidas’ Hand sanft auf meinem Rücken spüre. Wortlos erklärt er mir, dass wir den Rückweg antreten sollen. Mein Fuß verfängt sich unter einer verschlungenen, vom Schnee verdeckten Wurzel. Ich breite meine Arme aus, um mein Gleichgewicht zu halten, doch ich stolpere ungeschickt. Blitzschnell fängt mich Dovidas auf. Ich stütze mich bei ihm ab. Ehe ich erfasse, wie mir geschieht, hebt er mich hoch und trägt mich sicher durch den Schnee. Unweigerlich hänge ich an seiner Schulter, spüre, wie die silbernen Fäden seines Majorsterns mich an der Wange kratzen. Dabei atme ich seinen Geruch ein. Rein wie der Schnee, und nach dem Pelz seiner Uschanka. Ich wünsche mir, er trüge mich weiter als bis zum Jeep, fühle, wie fest und gleichzeitig sorgsam seine Arme mich umfassen. Als mich Dovidas absetzt, begegnen sich erneut unsere Blicke. Diesmal betrachten wir uns völlig neu.
© Ira Habermeyer 2022