Social Media Hashtags #roman #baltikum #litauen #coldwarfiction #1980s #1990s #zeitgeschichte
Einige Zeit lang war es ziemlich ruhig hier, doch heute kann ich verkünden: Eine neue Reihe ist in Arbeit und im September wird Staffel 1 der „Eis und Bernstein“-Saga den Auftakt der gleichnamigen Romanserie einläuten. Geschrieben hatte ich die ersten Teile um Rasa, Valdas, Algirdas und natürlich Rimas bereits 2020, doch nach einer unerfreulichen Odyssee bei meinem ehemaligen Verlag gehören die Rechte wieder mir! Und nun geht es an die Überarbeitung.
Einstweilen habe ich ein provisorisches Cover erstellt. Als ich die Vorlage fand, war ich sofort davon gefesselt: Das sind Rasa und Valdas in all ihrer Leidenschaft und Dramatik und sie ließen mir keine andere Wahl.

Was währenddessen sonst noch geschah: Beide Teile der „Sternenstürmer“-Saga sind gut bei meinen Leser*innen angekommen und die guten Rezensionen bestätigen mich darin, meinem Thema Kalter Krieg und den Orten des Geschehens treu zu bleiben. Anfang des Monats hatte ich eine Lesung mit sehr interessierten Zuhörer*innen, bei denen die Thematik ins Schwarze getroffen hat. Bei der Aktualität ist es auch kein Wunder, dass die Menschen das Bedürfnis haben, jemand möge ihnen, wenn auch auf der Unterhaltungsebene das Machtstreben Russlands und die bis heute noch erhaltenen Sowjetstrukturen erklären.
Noch ist „Bruderküsse“ in Arbeit und wird wohl erst kommendes Jahr soweit sein, um aus dem Undercover ans Licht der Buchwelt zu treten. Um mich zu motivieren, habe ich bereits das Finale mit Schauplatz in Prag im Jahr 1974 geschrieben. Inzwischen habe ich mir angewöhnt, bereits die Schlussszenen zu schreiben, damit ich mein Ziel vor Augen habe und ungefähr weiß, wohin die Reise geht. Bekannterweise entwickeln meine Charas ihr Eigenleben und manchmal führen sie mich hin zu überraschenden Wendungen und zeigen einen tiefen Blick in ihre Seelen. Doch genau das liebe ich so sehr am Schreiben, die Lebendigkeit.
Da wäre allerdings noch ein anderes Projekt, das lange im Dornröschenschlaf schlummerte und mich erneut in seinen Bann zog, als ich zufällig wieder auf die Datei gestoßen bin. Ein noch unvollendeter Roman, der zu einer ganz anderen Zeit an einem komplett anderen Ort spielt und mit Cold War Fiction eigentlich nichts zu tun hat. Doch dazu ein anderes Mal mehr.
Zur Einstimmung auf „Eis und Bernstein“ könnt Ihr Euch mit der ersten Leseprobe auf seine Protagonisten/Antagonisten Valdas und Rimas einstimmen. Einst waren die beiden ziemlich gute Freunde, heute arbeitet Valdas als IM für ihn …
Vilnius, September 1981
GERADE NOCH RECHTZEITIG BEMERKTE ER die Pfütze im kraterähnlichen Schlagloch, bevor er mit seinen Budapester hineintrat. Er wich dem kleinen Wasserloch mit einem großen Schritt aus, warf die Fahrertür seines schwarzen Wolgas zu und blickte an der grauen Fassade mit der Leuchtbuchstabenschrift Elektronika hinauf. Der heftige Regen der vergangenen Nacht hatte den Sommer endgültig vertrieben, ein kalt auflebender Wind scheuchte die tiefhängenden graubauchigen Wolken durch den tiefblauen Himmel, brachte seine akkurat frisierte Haartolle durcheinander und riss an den roten Flaggen, die jeweils im Dreierspalier an beiden Seiten über dem Elektronika-Schriftzug angebracht waren. Vielleicht mochte er den Launen des Wetters genauso ausgeliefert sein wie die drei jungen Menschen, die ihm auf dem Gehsteig entgegenkamen, doch er konnte ihre Leben zusammenkrachen lassen wie eine morsche Hütte im Sturm. Wenn er so wollte. So war es recht, ihre heiteren Gespräche verstummten in der Sekunde, als sie ihn wahrnahmen, sie senkten ihre Blicke und wichen zur Seite. Im Spiegelbild der staubigen Fensterfont richtete er seine goldblonden Haare, betrachtete sich selbst und stellte fest, dass ihm der Anzug nichts von der einschüchternden Autorität seiner Uniform nahm. Ganz im Gegenteil. Er war General Rimantas Kazimieras Rutkus, Vorsitzender des Kommissariats für Staatssicherheit, die Garantie, dass das Zentralkomitee und der Ministerrat gut schlafen konnten und Litauen ruhig und geordnet vorfanden.
Unter dem Jackett tastete er nach seiner Makarow, betrat die Eingangshalle. Bis auf die Empfangsdame war die Halle leer, er konnte den festen Klang seiner Schritte hören. Über dem hellblonden Schopf der wie erstarrt wirkenden Frau tickten die Uhren. Vilnius, Moskau, Swerdlowsk und Wladiwostok. Der Geruch von verschmortem Plastik und geschmolzenem Metall waberte ihm aus der Fertigungshalle entgegen, kitzelte in seiner Nase. Rimantas hob den Kopf zur Brüstung. Eine rote Banderole regte sich kaum merklich, dahinter stand der Leiter des Kombinats, Valdemaras Grinfeldis, genannt Valdas. Arbeit und Technik sind die Pfeiler des Sozialismus. Die Arme unter der Brust verschränkt, die Lippen angespannt sah er ihm in die Augen, schien nicht einmal zu blinzeln.
»Labas rytas, Generolas Rutkus«, grüßte Valdas ihn von seiner Balustrade, stieg mit federndem Gang die Stufen hinab.
Prüfend strich Rimantas über den Hinterkopf, damit kein Haar abstand, kam Valdas entgegen. Er war gleich groß wie er, seinetwegen musste er nicht in den Schuhen auf Zehenspitzen stehen und das Kinn anheben, um zu ihm aufzusehen. Viele seiner Landsmänner waren hochgewachsen wie die Krieger und Großfürsten aus der Geschichte, doch Valdas Grinfeldis konnte andere Wurzeln vorweisen. Im Gegensatz zu ihm. Und Valdas kompensierte seine mittelgroße Statur mit dem Aussehen eines Schauspielers aus einem Schwarzweißfilm, seine dunklen Haare glänzten im Schein der milchigen Kugellampen, die Augenbrauen hatten die Form schwarzer Schwingen, über seine Wangen zog sich die Spur von Sommersprossen, Sprenkel wie auf einem Wachtelei, die während der sonnigen Tage an der Ostsee einen intensiveren Ton angenommen hatten. Er blickte ihn hintersinnig an, die Augen in jenem warmen Tiefbraun der Kaukasier, der bernsteinfarbene Ring um die Pupille schimmerte einen Funken goldener, als sie die Form von Halbmonden annahmen. Kein Wunder, dass sein fremdländisches Aussehen die Frauen anzog und sich bereits im Komsomol die hübschesten Mädchen an diesen Streber drangehangen hatten. Wieder mal im Gegensatz zu ihm, und er hätte sich bestimmt keine Gelegenheit entgehen lassen.
»Nu, Genosse Grinfeldis«, entgegnete Rimantas, erwiderte dessen Grinsen. »Was machen die Zahlen?«
»Ich bin zufrieden und weiß, dass Elektronika das Plansoll erfüllen wird«, antwortete Valdas beiläufig, strebte den mit hellgrüner Lackfarbe getünchten Korridor entlang auf die Tür zu seinem Arbeitszimmer zu. »Immerhin ist die Armee mein größter Auftraggeber, benötigt die meisten Rechner. Und so wird es auch bleiben.« Er öffnete die Tür, bedeutete Rimantas, ins Vorzimmer zu treten.
Flüchtig blickte Egidija Urbonaitė, Valdasʼ Sekretärin, auf. Ihr Blick aus mit blauem Kajal umrahmten Augen war weniger ängstlich, doch sie verriet ihr Unbehagen mit schnelleren, flacheren Atemzügen. An ihren Ohrläppchen zitterten die Scheiben aus durchsichtigem rotem Plastik, ehe sie sich einer in dünnem Karton gebundenen Mappe widmete. Rimantas folgte dem Teppichläufer, der sich über der Türschwelle in Valdasʼ Arbeitszimmer fortsetzte. Auf dem Beistelltisch hatte Egidija eine Platte mit belegten Brotscheiben und eine silberfarbene Kaffeekanne angerichtet. Das blau-goldene Dekor der Tassen erinnerte an russisches Porzellan.
»Nimm Platz, Rimas«, bat Valdas, schenkte ihm Kaffee in die Tasse und bediente sich an den Broten. Er schleckte die Butterspur vom Knöchel seines Daumens und ließ sich unter Leonid Iljitschs Porträt und seinen Diplomen in den Sessel sinken. »Ich gebe dir gleich, was du von mir möchtest«, sagte er. »Doch zunächst muss ich dir erzählen, wer demnächst bei mir anfängt.«
»Wer?« Rimas wählte seine Brote aus. Ihm schmeckte das dunkle litauische besser als das weiche Weißbrot, das überall in der Union gleich war. Er nahm seinen intensiven Duft auf, eine Spur Honig, etwas Kümmel und von dünnen Schilfblättern umwickelt. In der ganzen Union war litauisches Brot beliebt und legendär. Er nahm zwei Scheiben, belegt mit herzhafter geräucherter Wurst.
»Pranas Tarvydasʼ Tochter Rasa«, antwortete Valdas.
Beim Gedanken an den Milizchef von Kaunas und dessen gnadenlosen Ruf sog Rimas scharf die Luft ein. Durch die kleine Zahnlücke entstand ein leiser Pfeifton, ähnlich wie der Wind, der mit dem Laub spielte. Einst hatte Valdas ihn in Tarvydasʼ Haus in Kaunas gebracht, ihn seinem Ziehvater als Freund vorgestellt. Eine schicksalhafte Begegnung …
»Welche Ehre«, sagte Rimas. »Dann dürfte sie bald am Platz der Genossin Egidija sitzen.«
Valdas schüttelte den Kopf, während er an der mit Pastete bestrichenen Weißbrotscheibe kaute. »Nein. Rasa verdient sich nur ein wenig Geld dazu, indem sie in der Produktion mithilft. Sie beginnt eine Ausbildung im Staatsdienst. Ihre Cousine Rina arbeitet in der Brigade am Band.«
Rimas wusste über das Leben jedes Bürgers in der litauischen SSR Bescheid, kannte ihre Akten, kannte ihre Gewohnheiten, was sie zum Frühstück aßen und wann sie ihren ersten Wodka tranken; er wusste, wer wen liebte und wer nicht mehr, wer mit wem stritt und wer mit wem glücklicher war. Doch Pranas Tarvydas gehörte zu jenen Leuten, die sich um den Sozialismus mehr als verdient gemacht hatten, als dass deren Integrität in Frage stand. Damals war er Rimasʼ Förderer gewesen und er hatte dem Mann mit dem verstümmelten Daumen seine Karriere beim Geheimdienst zu verdanken.
»Wie löblich von ihr, dass sie die Arbeit in der Brigade vorzieht«, bemerkte er, lenkte von seinem bescheidenen Wissen über Rasa ab. »Mein alter Freund.« Fordernd streckte er die Hand aus, rieb mit dem Daumen über Zeige- und Mittelfinger. »Deine Berichte, wenn ich bitten darf? Ich weiß, du lässt mich nie im Stich.«